Für unseren Sohn Malik
Für unseren Sohn Malik
GESCHICHTE
Wie glücklich wir waren, als wir erfuhren, dass wir endlich doch noch schwanger geworden sind! So viele Jahre hatten wir gewartet und probiert und es hatte sich aus unerklärlichen Gründen nichts getan. Letztlich stellten wir uns schon auf eine Leben zu zweit ein. Schon das hätte ich von meinem Mann nie erwartet, da er aus Indien stammt, wo Familie doch sehr viel mehr bedeutet als hier. Doch er liebte mich so sehr, dass er auch ohne Kinder mit mir glücklich sein könne. Und manchmal würde Allah eben ein bisschen auf sich warten lassen, meinte er.
Ich hingegen fand, dass ich lange genug gewartet hatte und fing an, mein Leben auf Zweisamkeit auszurichten. Zuerst bewarb ich mich um eine andere Stelle, um wenigstens beruflich noch einiges zu erreichen. Unter 600 Bewerbern wurde mir dann auch tatsächlich die Stelle zugesagt und ich war superglücklich. Ich hatte nur den Sporttest noch vor mir, für den ich 50 Kilometer hätte fahren müssen und wo ich einen gynäkologischen Befund mitbringen sollte, der bestätigen musste, dass meine körperliche Verfassung den Ansprüchen entsprach. Kein Problem! Meine Regel war, wie so oft, ein, zwei Tage überfällig. "Also machen sie doch zur Sicherheit auch bitte noch einen HCG-Test.", sagte ich zur Arzthelferin. Und ich witzelte noch: "Dann kann ich mir die weite Fahrt ja sparen, haha..." Fünf Minuten (eine Ewigkeit) später stand sie freudestrahlend vor mir: "Positiv!" Ich konnte mein Glück kaum fassen. Am Abend saß ich meinem Mann am Tisch gegenüber. "Ich muss Dir etwas Wichtiges sagen. Du hast nächste Woche eine sehr wichtige Verabredung, auf die du schon lange gewartet hast." Das Fragezeichen in seinem Gesicht wuchs ins Bodenlose. "Du hast eine Verabredung beim Arzt und zwar mit deinem Kind!" Ich glaube, es war das erste Mal, dass ich ihn weinen sah. Ich persönlich hatte mir eine Schwangerschaft schöner vorgestellt. Aber schließlich war ein Ende abzusehen und so ertrug ich mit Geduld die kleinen Unpässlichkeiten, die ja allgemein bekannt sind. Mein Arzt sagte, ich sei ein Musterbeispiel einer zufriedenen Schwangeren, der es gut ginge und auch die Befunde waren immer alle im Rahmen. Zum Ende hatte unser Sohn es manchmal mit dem Wachsen nicht so eilig, hielt sich aber immer noch so gerade im grünen Bereich auf. Was mich irritierte (und erst heute weiß ich ja so richtig, warum) war, dass meine Vorstellungen mit unserem Kind nicht weiter gingen, als bis zur Geburt?! Nie hatte ich einen Gedanken daran verschwendet, wie er wohl aussehen könnte, wann er das erste Mal lächeln, wann krabbeln oder brabbeln würde. Ich hatte kein Gesicht für mein Kind und keine Vorstellungen an gemeinsame Zeit. Sicher, wir richteten das Kinderzimmer ein, zogen in eine passende Wohnung und ich ließ mir einen Kinderwagen zurückstellen. Doch obwohl ich wusste, dass es ein Junge werden würde, kaufte ich ausschließlich "neutrale" Kleidung. Außer der Spieluhr, die jeden Abend auf meinem Bauch spielte, nachdem ich meine Massage erhalten hatte, gab es nichts, was mich direkt mit meinem Kind verband. Weder Materiell noch gedanklich. Mein Mann weckte mich nachts oft, weil ich im Traum laut loslachte, was als ein schlechtes Zeichen gilt. Außerdem träumte ich wieder und wieder von feinem Sand - viel Sand. Einmal streute ich im Traum unsere gesamte Wohnung mit Vogelsand aus!? So konnte man ein eventuell umgekipptes Glas einfach aufschaufeln...Ich schob diese Eingebungen beiseite! Als mein Arzt mir ca. in der 34. Woche sagte, dass er mich nicht über den Entbindungstermin laufen lassen würde, weil er denke, dass das Kind keinen Nutzen davon hätte, freute ich mich sogar. Der Mutterkuchen würde ihm dann nicht mehr die nötige Versorgung zukommen lassen, sagte er. Heute würde ich sehr hellhörig werden. Gibt es doch wirklich Mütter, die nicht sonderlich auf die Versorgung ihres Körpers achten. Ich hingegen hatte meine komplette Ernährung auf Schwangerschaft umgestellt (wo ich vorher auch nicht gerade achtsam mit meinem Körper umgegangen war). Bis auf meine fünf bis sieben Zigaretten der leichtesten Marke am Tag, konnte ich wirklich auf alles verzichten. Am 12.09.2002 wäre also definitiv der letzte Tag meiner Schwangerschaft gewesen und so beschloss ich, mit meinem Mann am Samstag davor (07.09.) noch ein letztes Mal ein schönes Frühstück zu zweit in "unserem" Restaurant zu genießen. Gesagt, getan! Kurz nach dem Frühstück wachte unser Malik dann auch auf und räkelte sich genüsslich, was ich meinem Mann auch mitteilte. So war es eigentlich jeden Morgen. Sonst verhielt er sich ziemlich ruhig (gemessen an meiner jetzigen Schwangerschaft), aber morgens war er fit. Anschließend machten wir noch eine kleine Rundfahrt durch die Familie, denn dazu würde uns bald ja auch erst einmal nicht soviel Zeit bleiben. Als mein Mann um 15.00 Uhr zur Arbeit ging, blieb ich noch bei meinen Großeltern. Vorher sagte ich meinem Mann aber noch, dass sich mein Bauchgefühl irgendwie komisch verändert hätte und ich auf meine Klopfzeichen keine Antwort bekäme. Er machte sich gleich riesige Sorgen, weil ich so etwas nie zum Spaß sagen würde und ich hatte auch wirklich ein unbeschreibliches Gefühl des Unbehagens in mir. Später rief er mich von der Arbeit noch einmal an, aber es hatte sich noch immer nichts getan. Ich fuhr nach Hause, legte mich mit der verdammten Spieluhr aufs Bett, knuffte und schubste meinen Bauch, aber eine Antwort bekam ich nicht mehr. Meine Befürchtung wurde zu einer Gewissheit, die unabänderlicher nicht hätte sein können: Unser Sohn war tot! Die Stunden vergingen und mein Mann kam nach Hause. Ich sagte ihm, dass Malik sich nicht mehr bewegt hatte. Ewige Zeit ließ auch er seine Hände auf meinem Bauch und fragte zwischendurch zwei Mal, ob da nicht was gewesen wäre?! Traurig schüttelte ich den Kopf. Dann wollte er mit mir ins Krankenhaus, aber ich konnte nicht. Wir gingen ins Bett und ich vertröstete ihn darauf, dass ich am Sonntag meine Hebamme anrufen würde, wenn sich nicht alles als ein böser Traum herausstellen sollte. Ich rief meine Hebamme an, aber sie war nicht erreichbar. Wieder fuhr mein Mann zur Arbeit. Erst am Sonntagabend konnte ich in die Klinik fahren, um mir meine Ängste bestätigen zu lassen. Malik war tot. Das stand fest. Warum? Das konnte mir allerdings niemand sagen. Ich wollte nicht dort bleiben! Ich wollte nach Hause fahren und alleine mit meinem Mann und unserem Baby noch eine Nacht verbringen, um zu begreifen. Es war halb zehn als ich nach Hause kam und mein Mann war inzwischen auch schon früher von der Arbeit gekommen und stürzte mir in der Tür entgegen. Ich sah ihn an und schüttelte nur den Kopf. Wir weinten den ganzen Abend zusammen, gingen irgendwann ins Bett und mein Mann hielt meinen Bauch. Geschlafen haben wir sicher nicht, aber diese Nacht hat uns sehr gut getan und ich bin froh, dass ich so entschieden habe. Am nächsten Morgen um acht sollten wir zur Einleitung im Krankenhaus sein. Wir wurden ganz prima aufgefangen in dieser - für alle - schweren Lage. An dieser Stelle ein herzliches DANKESCHÖN an unsere Familie, die wahren Freunde, Arbeitskollegen und insbesondere an meinen Gynäkologen, die Schwestern und Hebammen des Krankenhauses!!! Ich bekam also ab Montagmorgen in meinem Einzelzimmer in Abständen Zäpfchen, um den Muttermund weich zu machen. Bis zur Entbindung am Dienstag um halb zwölf war ich nicht eine Sekunde alleine. Meine Schwester schlief sogar bei mir im Zimmer auf einem Holzstuhl! In kurzen Abständen sahen immer wieder die Schwestern und Hebammen nach mir. Meine Mutter saß tapfer an meinem Bett und hielt mir die Hand. Um halb zehn am Dienstag wurde mir dann der Wehentropf gelegt und die Geburt ging ziemlich schnell. Meine Mutter und meine Schwester waren neben meinem Mann dabei, was mir wirklich sehr geholfen hat! Dann kam unser Sohn zur Welt! Trotz der Gewissheit, dass er nicht lebte, ein überwältigendes Ereignis. Er sah so friedlich aus. Man ließ meinen Mann und mich mit ihm alleine, um ihn zu begrüßen und zu verabschieden. Die Nabelschnur hatte sich zwei Mal um seinen Hals gewickelt und stramm zugezogen. Er war eindeutig längere Zeit sehr schlecht versorgt gewesen und hätte von einem eventuellem Leben nicht wirklich etwas gehabt, wenn man es einmal realistisch betrachtet. So konnten wir ihn gut gehen lassen - unseren Sohn Malik. Die islamische Beerdigung machte sein Vater. Es war ein ergreifendes Erlebnis und mein Mann und ich wuchsen enger zusammen als jemals zuvor! Die nächsten Wochen waren sicher nicht leicht, aber ich möchte mal behaupten, dass wir uns wirklich gut mit dem Geschehenen abfinden konnten. Viel dazu beigetragen hat die Reaktion unseres Umfeldes.
Nun ist das ganze neun Monate her und ich bin in der 32. Woche mit unserer Tochter schwanger! Allah hat nicht lange auf ein Wunder warten lassen. Ich fühle mich großartig und freue mich schon jetzt auf den Tag, an dem ich unserem Mädchen zu ihrem ersten Geburtstag das hübsche rosa Kleidchen anziehen kann! Und voller Stolz werden wir ihr (und den anderen 10 Kindern, die noch kommen) von ihrem großen Bruder erzählen, den Allah zu sich holte als ein Sternenkind...
tot geboren
am
10. September 2002